Variable Ventiltriebsysteme
Schaeffler eRocker System
Dr. Frank Himsel
II. Entwicklung schaltbarer Rollenschlepphebel für den Ottomotor
III. eRocker-System von Schaeffler
IV. Schaltbare Schlepphebel für den Dieselmotor
[1]Bild 1.der erste Dreizylindermotor mit Zylinderabschaltung in Serie[2]
Bild 1 Serienanlauf von Ottomotoren mit Zylinderabschaltung
Bei Dieselmotoren wurden erst in letzter Zeit Konzepte mit schaltbaren Ventiltriebkomponenten umgesetzt. Mithilfe von schaltbaren Rollenschlepphebeln auf der Auslassseite kann hier beispielsweise eine interne Abgasrückführung umgesetzt werden, die die Verbrennungsstabilität beim Kaltstart verbessert und das Aufheizen der Abgasanlage beschleunigt, also die Zeit bis zum Light-off der Abgasnachbehandlungskomponenten verkürzt. Da die interne Abgasrückführung zudem schnell auf Parameterveränderungen im transienten Motorbetrieb reagiert, gewährleistet sie die Einhaltung der Emissionslimits auch in dynamischen Grenzsituationen. Sowohl für Otto- als auch Dieselmotoranwendungen werden im Folgenden neueste Entwicklungen bei schaltbaren Rollenschlepphebeln und deren Applikation aufgezeigt.
In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Trends in Bezug auf das beste Konzept für eine Ventiltriebvariabilität beim Ottomotor kontinuierlich geändert. Dies ist vor allem eine Folge der jeweiligen ökonomischen, ökologischen und gesetzlichen Anforderungen, ist aber auch auf die technische Weiterentwicklung der Systeme, etwa in Bezug auf die Steuerbarkeit und Schaltgeschwindigkeit, zurückzuführen. Schaeffler hat das Konzept der schaltbaren Rollenschlepphebel für Ottomotoren in den vergangenen Jahren sukzessive weiterentwickelt und den jeweils aktuellen Anforderungen angepasst. Dabei wurden schon vor einiger Zeit drei Hauptanforderungen identifiziert:
• niedriges Massenträgheitsmoment
• hoher Integrationsgrad aller Funktionen für möglichst geringen Bauraumbedarf
• geringe Reibung.
Im Laufe des Entwicklungsprozesses wurde die Konstruktion der schaltbaren Rollenschlepphebel immer weiter optimiert, um diese Ziele zu erreichen. Bild 2 zeigt das Design einer ersten im Vergleich zur aktuellen Generation. Während sich das Grundprinzip der hydraulischen Schaltung bewährt hatte und beibehalten wurde, konnten die Nachteile der bisherigen Konstruktion kompensiert werden. Umgesetzt wurde dies insbesondere durch folgende Maßnahmen:
• Die Lost-Motion-Feder wurde von einer ventilseitigen Position auf die Drehpunktseite verlagert. Dadurch verringert sich das Massenträgheitsmoment um den Drehpunkt erheblich. Außerdem lässt sich durch diese Konstruktion das Kraftniveau der Feder erhöhen, was dazu führt, dass sich das System im abgeschalteten Zustand nicht mehr am Nockengrundkreis abstützen muss. Infolgedessen kann für die Nockenwelle statt der vorher notwendigen Sonderlösung ein Standardbauteil mit entsprechenden Kostenvorteilen verwendet werden.
• Die Reibung konnte mit dem Entfall des Grundkreiskontakts auf der Gleitfläche reduziert werden.
• Der Primärhebel wird nun im sogenannten Metall-Injection-Molding(MIM)-Verfahren statt aus Guss gefertigt. Damit konnte der Integrationsgrad erhöht und gleichzeitig der Bearbeitungsaufwand reduziert werden.
• Durch eine konstruktive Optimierung konnte der Sekundärhebel in kostengünstiger Blechumformtechnik umgesetzt werden.
Bild 2 Schaltbare Rollenschlepphebel einer ersten (links) und der aktuellen Generation (rechts) für Ottomotoren
Da Schaeffler auch langjährige Erfahrung mit konventionellen, nicht schaltbaren Schlepphebeln hat, bietet sich ein Vergleich mit dem schaltbaren Rollenschlepphebel an. Dabei zeigt sich, dass der schaltbare Rollenschlepphebel aufgrund des größeren Funktionsumfangs zwar theoretisch ein höheres Massenträgheitsmoment und mehr Bauraumbedarf hat, sich in der Praxis mit konventionellen Schlepphebeln aber durchaus messen kann. Denn in den meisten Motoranwendungen werden Massenträgheitsmoment und Schlepphebellänge durch die allgemeinen Randbedingungen im Zylinderkopf bestimmt, nicht durch den Schlepphebel, und dies gilt für konventionelle wie für schaltbare Rollenschlepphebel gleichermaßen. Dennoch arbeitet Schaeffler im Rahmen verschiedener Entwicklungsprojekte daran, die schaltbaren Rollenschlepphebel noch kleiner und leichter zu machen.
Bei kleinen oder mittelgroßen Ottomotoren steht die Zylinderabschaltung durch Deaktivierung der Ein- und Auslassventile im nichtgefeuerten Betrieb im Wettbewerb zu bekannten Entdrosselungskonzepten mittels EIVC oder LIVC. Die Entscheidung für oder gegen ein Konzept ist dabei neben dem Kraftstoffeinsparpotenzial auch von den Bauteilkosten abhängig. Zudem muss das System so flexibel applizierbar sein, dass verschiedene Zielfahrzeugklassen und unterschiedliche Emissionsvorschriften weltweit abgedeckt werden können. Schaeffler hat daher zusammen mit einem Entwicklungsdienstleister das Kosten-Nutzen-Verhältnis verschiedener Schaltstrategien, die mit variablen Ventiltriebsystemen umsetzbar sind, für die Großserie untersucht. Dabei wurden für die betrachteten Systeme mit schaltbaren Rollenschlepphebeln und Schiebenocken (Cam Shifting System, CSS) nicht nur die Verbrauchseinsparungen, sondern auch die Mehrkosten berechnet, Bild 3.
Bild 3 Relation zwischen Mehrkosten und Kraftstoffeinsparung durch schaltbare Schlepphebel (grün) sowie Schiebenockensystem (hellblau) für verschiedene Fahrzeugsegmente
Generell lässt sich feststellen, dass eine Zylinderabschaltung im Vergleich zu Konzepten mit Umschaltung zwischen zwei Ventilhüben für EIVC oder LIVC das größere Kraftstoffeinsparpotenzial bei geringeren Kosten verspricht. Die Gründe der Mehrausgaben für zweistufige Umschaltsysteme liegen insbesondere am hohen Aufwand der Nockenwellenfertigung sowie der notwendigen Beschichtung der Gleitkontakte. Für eine Zylinderabschaltung bieten schaltbare Rollenschlepphebel systemseitig erhebliche wirtschaftliche Vorteile, während sie bei Konzepten, die eine zweistufige Profilumschaltung vorsehen, kostenseitig mit Schiebenockensystemen nahezu gleichauf liegen.
Wie schon erwähnt, wird die Zylinderabschaltung aufgrund des Verbrauchs- beziehungsweise CO₂-Einsparpotenzials künftig vermehrt auch bei Downsizing-Motoren mit kleinem Hubraum und wenigen Zylindern Anwendung finden. Für diese zumeist besonders kosten- und bauraumsensiblen Applikationen entwickelt Schaeffler aktuell das sogenannte Twinpallet-Design, Bild 4.
Bild 4 Mit dem innovativen Twinpallet-Design können zwei Ventile durch einen Schaltschlepphebel betätigt werden
Es basiert auf einer Y-förmigen Struktur mit zwei Ventilplatten, die die beiden Ein- oder Auslassventile des jeweiligen Zylinders synchron betätigen. Der Schaltschlepphebel an sich hat jedoch nur ein Abschaltelement, sodass auch nur eine Nocke auf der Nockenwelle erforderlich ist, um beide Ventile zusammen zu öffnen oder zu schließen. Aufgrund des kompakten Packaging baut der schaltbare Rollenschlepphebel mit Twinpallet sehr schmal und hat das Potenzial, Bauraumlänge einzusparen, was die Integration in den Zylinderkopf wesentlich erleichtert. Wie Abschätzungen von Schaeffler zeigen, können die Kosten für ein System zur Zylinderabschaltung mit dem Twinpallet-Ansatz bei identischem Funktionsumfang um rund 25 % reduziert werden.
Obwohl Schiebenockensysteme kostenmäßig nachteilig sind, bieten sie im Rahmen der Implementierung durch die elektromechanische Betätigung dennoch einen Vorteil: Während bei den hydraulisch schaltbaren Systemen der Ölkreislauf auf die Anforderungen der Schaltkomponenten angepasst werden muss, erlauben elektromechanisch schaltbare Systeme eine Implementierung ohne wesentlichen Eingriff in den Ölhaushalt. Dies stellt bei aktuellen Motorkonzepten, bei denen der Öldruck zur Reibungsreduzierung möglichst verringert werden muss, eine ungewollte Abhängigkeit dar, die es zu vermeiden gilt. Außerdem reduziert sich der Entwicklungsaufwand durch Entfall von Versuchen und Berechnungen zur Gesamtsystemoptimierung erheblich.
Schaeffler hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, die bisher hydraulisch betätigten Schaltkomponenten zu einer elektromechanischen Betätigung weiterzuentwickeln. Gleichzeitig sollte der Kostenvorteil möglichst beibehalten werden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, das Schaltsystem nach Möglichkeit mit einer zentralen Aktorik zu betätigen und Einzelaktoren oder aufwendige Übertragungsglieder wie Verstellwellen zu vermeiden. Der Gesamtsystemaufbau des schaltbaren Rollenschlepphebels mit elektromechanischer Umschaltbetätigung ist in Bild 5 dargestellt. Gezeigt ist die typische Anordnung eines Ein- oder Auslassventiltriebs eines Reihenvierzylindermotors mit Zylinderabschaltung am zweiten und dritten Zylinder.
Bild 5 Gesamtaufbau eRocker-System mit schaltbaren Rollenschlepphebeln mittels elektromechanischer Umschaltbetätigung
Die Grundintegration der elektromechanischen Rollenschlepphebel in den Zylinderkopf unterscheidet sich nicht von der hydraulischer Systeme. Die Umschaltbetätigung erfolgt mechanisch durch ein Schiebestück aus Blech. Die Federarme übertragen die Verstellung des Schiebestücks auf den Rollenschlepphebel, indem sie auf einen Schaltstift im äußeren Hebel drücken. Der Stift schaltet den Verriegelungsmechanismus und löst über eine interne Umlenkung der Bewegung die Verbindung zwischen dem äußeren und dem inneren Hebel, sodass der Hebel und damit der Ventilhub deaktiviert wird. Das Schaltelement, ein einfacher Linearaktor (blau, rechts), wird außerhalb des Nockenwellenmoduls beziehungsweise des Zylinderkopfs angebracht.
Eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung eines solchen Systems ist, dass der Schaltmechanismus eines Schaltschlepphebels nicht zu jeder Zeit frei verschiebbar ist, wenn sich der Hebel in einer Differenzhubsituation befindet oder der Mechanismus gerade Kraft überträgt, zum Beispiel während des Ventilhubs. Bei einer hydraulischen Betätigung wird die Bewegung im Öl durch den Druck einfach zwischengespeichert. Sobald der Verriegelungskolben wieder frei bewegbar ist, wird er durch den Öldruck verschoben und die Umschaltung rastet ein beziehungsweise aus.
Bei einem elektromechanischen System muss die Energie für die Betätigung entweder im Elektromagneten oder in einer mechanischen Komponente zwischengespeichert werden. Da die Speicherung im Elektromagneten zwangsweise zu einer aufwendigen und kostenintensiven Einzelaktorik führt, verfolgt Schaeffler den Weg mit einer Feder als Energiezwischenspeicher. Diese Feder ist als Blattfeder ausgebildet und übernimmt gleichzeitig die Übertragung der Bewegung der Aktorleiste auf die Schaltschlepphebel. Weitere Bauteile sind dazu nicht notwendig. Sollte der Betätigungsstift blockiert sein, während die Schubstange verschoben wird, wird die Energie im Federarm zwischengespeichert, Bild 6 (links). Sobald der Mechanismus kraftfrei ist, wird der Betätigungsstift verschoben und der Hebel abgeschaltet, Bild 6 (rechts).
Bild 6 Aktorleistenbewegung bei blockiertem Verriegelungsstift durch die Federzunge (links) sowie Position nach erfolgter Verschiebung (Ventil deaktiviert) (rechts); Verriegelungsmechanismus teilweise geschnitten
Ein weiterer Vorteil des Systems ist, dass die Schubleiste durch die Übertragung der Bewegung mittels Federarmen flexibel im Zylinderkopf platzierbar ist. Durch eine unterschiedliche Auslegung der Blattfeder (Länge/Querschnitt) kann eine Position näher oder weiter entfernt vom Schaltschlepphebel gewählt werden, angepasst an die individuellen Bauraumbedingungen und die Zylinderkopfarchitektur. Eine Adaption der eRocker-Technologie auf den vorher beschriebenen Twinpallet-Hebel liegt auf der Hand. Die daraus resultierende Kosteneinsparung überkompensiert den Zusatzaufwand, den der Ersatz des Übertragungsmedium Öls durch ein mechanisches Bauteil verursacht, bei Weitem.
Mitsubishi[3]
Einen zusätzlichen Impuls hat die Entwicklung variabler Ventiltriebkonzepte bei Dieselmotoren durch die Einführung neuer Emissionstests erhalten. Einerseits werden mit RDE (Real Driving Emissions) nun auch die Emissionen im alltäglichen Straßenverkehr abgeprüft, andererseits hat der zulassungsrelevante Messbereich mit dem neuen Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Cycle (WLTC) eine signifikante Spreizung erfahren. Mit RDE und WLTC sind zudem die Anforderungen gestiegen, die Emissionen bei transientem Motorbetrieb schnell an die veränderten Bedingungen anzupassen. Neue Möglichkeiten der Verbrennungsoptimierung bieten dabei variable Ventiltriebsysteme. Es ist jedoch zu beachten, dass sie keine singuläre Optimierung am Motor darstellen, sondern immer im Gesamtsystem funktionieren und oftmals Wegbereiter anderer Maßnahmen sind, beispielsweise über die Erweiterung des Betriebsbereichs, in dem bei niedrigen Betriebstemperaturen eine Nacheinspritzung appliziert werden kann. Bild 7 zeigt den Einsatzbereich und mögliche Schaltstrategien des variablen Ventiltriebs beim Dieselmotor mittels schaltbarer Rollenschlepphebel im Kennfeldschnitt.
Bild 7 Schaltstrategien des variablen Ventiltriebs beim Dieselmotor
Die hauptsächlich verfolgte Strategie ist, durch interne AGR mittels eines zusätzlichen Auslassventilhubs die Abgastemperatur gezielt anzuheben, um das Aufheizen der Abgasnachbehandlungskomponenten bei einem Motorkaltstart zu beschleunigen. Im Gegensatz zur etablierten externen AGR, bei der das Abgas über eine Leitung vom Aus- in den Einlasstrakt zurückgespeist wird, wird bei der internen AGR ein Teil des Abgases vom Auslasstrakt über die Auslassventile wieder in den Brennraum gesogen. Neben dem Aufheizeffekt kann damit die interne AGR auch im Normalbetrieb sehr viel schneller auf Änderungen der Rückführrate bei transienten Betriebsbedingungen reagieren, als es die externe vermag.
Bei der ersten Generation des schaltbaren Rollenschlepphebels von Schaeffler für Dieselmotoren wurde der Primärhebel mit einer Gleitfläche am Nockenkontakt ausgestattet, während der Sekundärhebel über ein Wälzlager verfügte, Bild 8.
Bild 8 Verbesserter schaltbare Rollenschlepphebel von Schaeffler für Dieselmotoren
Dadurch wurde der Hauptauslassventilhub einschließlich der Nockengrundkreisphase über die Gleitfläche und der Nachhub über das Wälzlager übertragen. Dies führte zu einer nachteiligen Reibungssituation für den Haupthub, der im Gegensatz zum Nachhub im Motorbetrieb immer übertragen wird und somit einen weit höheren Einfluss auf die Gesamtreibleistung des Systems hat. Mit der zweiten Generation des schaltbaren Rollenschlepphebels für Dieselmotoren hat Schaeffler das Prinzip umgekehrt: Nun sitzt der Primärhebel, der den Haupthub überträgt, innen und ist mit einer Wälzlagerung ausgerüstet. Der für den Nachhub zuständige Sekundärhebel liegt außen und verfügt über Gleitflächen. Zudem ist er nun aus kaltumgeformtem Blech gefertigt, was zu Kosteneinsparungen führt. Als weitere Maßnahme zur Kostensenkung arbeitet Schaeffler an Konzepten, bei denen die aktuell notwendige DLC (Diamond-like-Carbon)-Beschichtung der Gleitflächen entfallen kann.
Bild 9.
Bild 9 eRocker-System für Nachhubanwendung am Dieselmotor
Weiterhin konnten zusätzliche Freiheitsgrade für die Applikation des Nachhubs erschlossen werden. Bislang wurde er so ausgelegt, dass der Haupthub vollständig abgeschlossen sein musste, bevor der Nachhub einsetzen konnte. Künftig erlaubt ein sogenannter Übergabehub Zwischenphasen, in denen sich Haupt- und Nachhub überlagern. Die Schaltung ohne Übergabehub führte dazu, dass der Nachhub erst spät erfolgen konnte und die Ventilhubhöhe beschränkt war. Wie Bild 10 zeigt, verursacht eine späte zweite Auslassöffnung Pulsationen während des Ladungswechsels, die zu einem Rückfluss von Abgas in den Ansaugtrakt führen.
Bild 10 Einlassrückströmung (links) und Kontaktübertragung vom Haupt- auf den Nachhub (rechts)
Dies sollte vermieden werden, um Verunreinigung der Ansaugseite mit Abgasrückständen zu verhindern. Auch können die pulsationsbedingten Schwingungsanregungen im Ansaugtrakt zu Akustikproblemen führen. Beim schaltbaren Rollenschlepphebel mit Übergabehub wird der äußere, für den Sekundärhub zuständige Schlepphebel schon betätigt, während die Motorventile noch in der Haupthubphase sind und gerade geschlossen werden. Der die Ventilbewegung vorgebende Kontakt wird also während der Schließflanke des Haupthubs von der Nockenrolle auf die Gleitfläche übergeben. Damit es dabei nicht zu Bauteilschäden kommt, muss der Kontakt mit einer definierten Geschwindigkeit vom Haupt- auf den Nachhubhebel übertragen werden, Bild 10 (rechts). Auch muss diese Übertragungsgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Toleranzsituationen konstant bleiben.
Bei der Schaltung des Übergabehubs werden die Motorauslassventile am oberen Totpunkt (OT) des Kolbens nicht vollständig, sondern nur fast geschlossen, um nicht gegen den Kolben zu stoßen, und unmittelbar nach dem OT wieder geöffnet. Dies ermöglicht einen sehr frühen Sekundärhub der Ventile. Wie Bild 10 zeigt, tritt dabei die Druckpulsation nicht auf. Im Gegenteil, der Massenstrom über die Ein- und Auslassventile verläuft während der Einlassphase extrem gleichmäßig. Sogar die in Bild 10 (links) dargestellte Ventilerhebungskurve mit 4 mm Amplitude, die noch später schließt als die Standard-Nachhubkurve ohne Übergabehub und damit problematisch sein müsste, führt nicht zu einer Rückströmung in den Ansaugtrakt. Gleichzeitig ermöglicht sie jedoch die gewünschte höhere AGR-Rate und daraus resultierend niedrigere NOx-Emissionen. Der Verlauf der Druckdifferenz, welche maßgeblich für die AGR-Rate ist, ist für jeden Motor unterschiedlich. Er ist unter anderem von der Motorbauart (beispielsweise vier oder sechs Zylinder), der Kanalgestaltung, dem Aufladesystem und dem Abgastrakt anhängig und kann auch im Betrieb angepasst werden, etwa über die Stellung der Leitschaufeln bei Turboladern mit variabler Turbinengeometrie oder durch Klappen im Abgastrakt, wie sie zur Steuerung der externen AGR-Einrichtungen häufig vorhanden sind.
Eine mehrstufige Nachhubschaltung kann durch zwei unabhängig schaltbare Schlepphebel für jeden Zylinder erreicht werden. Da für beide Schaltelemente verschiedene Nachhubventilerhebungen appliziert werden können, ergeben sich in der Summenbetrachtung unterschiedliche Nachhubmassenströme beziehungsweise AGR-Rückführraten. Bild 11 (links) zeigt die mit dieser Schaltung möglichen Kombinationen.
Bild 11 Multimode-Schaltkonzept mittels eRocker-System
Während das eine Auslassventil (EX2) eine große Nachhubamplitude bietet, wird beim zweiten Ventil (EX1) nur ein kleiner Ausschlag appliziert. Wird nur das Ventil EX1 geöffnet, ist die AGR-Rate klein (Bild 11, Stufe 2). Die Betätigung des Ventils EX2 führt zu einer mittleren Rückführrate (Bild 11, Stufe 3). Werden beide Nachhubkurven zusammen aktiviert, kann das maximale Abgasvolumen in der Nachhubphase zurück in den Brennraum geschoben werden (Bild 11, Stufe 4).
Die unabhängige Schaltung der beiden Ventile wird durch zwei parallel laufende Schubleisten erreicht, die jeweils mit dem ersten oder dem zweiten Auslassventil aller Zylinder verbunden sind. Die Betätigung der Schubleisten erfolgt dann unabhängig voneinander durch einen Zweistiftaktor.
Nach initialer Erprobung des Konstruktionsprinzips auf einem Prüfstand wurde das eRocker-System in der einstufigen Ausführung auf einen Serien-Dreizylinder-Dieselmotor appliziert, Bild 12. Durch die Adaption einer Führungsleiste auf die vorhandenen Lagerschalen der Auslassnockenwelle konnte die Aktorleiste in den vorhandenen Bauraum integriert werden. Der Aktor wurde außerhalb des Zylinderkopfs angebracht.
Bild 12 Multimode-Schaltkonzept
Bild 13 zeigt das Ergebnis von Schaltzeituntersuchungen für die Verriegelung des eRocker-Systems im Vergleich mit zwei hydraulisch schaltbaren Systemen.
Bild 13 Schaltzeit für Verriegelung von SEVL-Systemen abhängig von Öltemperatur und motorseitigen Randbedingungen
Beim den hydraulischen System ist eine Verschlechterung der Schaltzeiten im negativen Temperaturbereich klar erkennbar und auch verständlich. Durch die Ölviskosität wird der Druckaufbau im Schaltmechanismus verzögert. Je nach Systemausführung (zum Beispiel verfügbares Druckniveau und Länge/Durchmesser der Steuerleitungen) stellt sich diese Verschlechterung unterschiedlich stark dar, was im Vergleich der Anwendung Nr. 1 und Nr. 2 in Bild 13 deutlich wird. Im Beispiel ist die Anwendung Nr. 2 ein Reihen-Sechszylindermotor. Selbst mit umfangreicher Systemoptierung könnte die Schaltzeit durch die konstruktiven Randbedingungen nicht mehr wesentlich verbessert werden.
Auch das eRocker-System erfährt bei niedrigen Temperaturen eine Verschlechterung der Schaltzeit, da die mechanischen Komponenten des Systems ebenfalls ölbenetzt sind und deshalb die Betätigungskräfte in den Führungen ansteigen. Dies kann theoretisch durch eine höhere Betätigungskraft kompensiert werden, wenn es erforderlich ist.
Problematisch ist allerdings nicht die Schaltzeit selbst, denn dies könnte gegebenenfalls durch die Motorsteuerung kompensiert werden. Vielmehr ist bei den hydraulischen Systemen die Streuung der Schaltzeit deutlich größer als beim elektromechanischen System, Bild 14. Dadurch kommt es zu Situationen, bei denen für einzelne Verbrennungen nicht prognostizierbar ist, ob das Rollenschlepphebelsystem schalten wird oder nicht. Man spricht in diesem Zusammenhang von zyklus- oder nicht-zyklustreuer Schaltung. Durch die geringe Varianz der Schaltleistung des eRocker-Systems kann der Drehzahl- und Temperaturbereich für zyklustreues Schalten deutlich erweitert oder eine unklare Schaltsituation sogar gänzlich vermieden werden. Mit der erzielten maximalen Schaltzeitvarianz von 12 ms kann bei einer Vierzylinderanwendung mit Nachhub (90° Zündversatz) eine zyklustreue Schaltung theoretisch bis zu einer Drehzahl von 2.500/min erreicht werden, was eine gängige Lastenheftvorgabe für Nachhubanwendungen darstellt. Erst bei darüber hinausgehenden Drehzahlen kann der Fall auftreten, dass für eine Verbrennung eines Zylinders der Schaltzustand nicht bekannt ist.
Bild 14 Variation der Schaltzeit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass auch auf hydraulischer Basis eine Applikation des schaltbaren Rollenschlepphebels mit akzeptablen Schaltzeiten prinzipiell darstellbar ist. Die Abhängigkeit von Öldruck und -verschäumung und die teilweise konkurrierenden Anforderungen von Schaltfunktion und Ventilspielausgleich führen jedoch zu einem sehr komplexen und konstruktiv aufwendigen sowie schwierig zu optimierenden Hydrauliksystem. Diese Konflikte können mit dem eRocker-System einfach aufgelöst werden.
Schaeffler entwickelt und produziert schon seit rund 20 Jahren Komponenten für variable Ventiltriebe. Dabei haben sich schaltbare Rollenschlepphebel in den vergangenen Jahren als funktional und wirtschaftlich attraktive Lösung speziell für die Zylinderabschaltung bei Ottomotoren etabliert. Durch ständige Optimierungen hat Schaeffler das System immer weiter verbessert. Wie Vergleiche zeigen, schneiden schaltbare Rollenschlepphebel im direkten Kostenvergleich gegenüber alternativen Systemen mit Schiebenocken sehr gut ab. Mit dem Y-förmigen Twinpallet-Schaltschlepphebel, der zwei Ein- oder Auslassventile auf einmal betätigen kann, bietet Schaeffler für die Zylinderabschaltung einen besonders bauraum- und kostensparenden Ansatz an.
Neben konventionell hydraulisch betätigten Schaltkomponenten entwickelt Schaeffler das eRocker-System sowohl für die Zylinderabschaltung als auch für die Profilhubumschaltung, wie sie beim Dieselmotor für einen Nachhub eingesetzt wird. Dieses elektromechanische System ist als Anbaulösung „Plug-and-Play“ anzusehen, die keinen Einfluss auf den Ölkreislauf des Motors ausübt und deshalb insgesamt einfacher und flexibler zu integrieren ist, während sich das hydraulische System nach wie vor als ein wirtschaftliches Konzept für die Großserie anbietet.
Steigende Emissionsanforderungen führen auch bei Dieselmotoren zu einem steigenden Bedarf nach mehr Variabilität im Ventiltrieb. Dabei geht es insbesondere um Brennverfahren mit hoher interner AGR-Rate, die über eine Nachhubschaltung der Auslassventile umgesetzt wird. Durch die innovative Funktion eines Übergabehubs werden die Möglichkeiten der Anpassung der Steuerzeit des Nachhubs an die spezifische Motorumgebung erweitert, sodass weitere Emissions- und NVH-Vorteile umgesetzt werden können. Eine bessere Steuerung der Abgasrückführung erlauben Ansätze mit unterschiedlichen Nachhubhöhen an den beiden Auslassventilen, die beliebig kombiniert werden können. Diese Anordnung ist durch das eRocker-System mit geringen Auswirkungen auf die Motorperipherie deutlich einfacher realisierbar, als dies mit einer hydraulischen Schaltbetätigung möglich wäre.
In einer Adaption mit Nachhub auf einen Dreizylinder-Dieselmotor konnte das eRocker-System seine Grundfunktion und die einfache Applizierbarkeit erfolgreich unter Beweis stellen. Weitere Aktivitäten sehen die Adaption für Zylinderabschaltung an einem Ottomotor im ersten Halbjahr 2018 vor, gefolgt von der Darstellung der unabhängigen Schaltfunktion beider Auslassventile an einem Dieselmotor im zweiten Halbjahr.
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Aus Emissions- und Kraftstoffverbrauchsgründen finden bei Ottomotoren schon seit vielen Jahren schaltbare Ventiltriebkomponenten breite Anwendung. Waren die ersten Applikationen auf eine Zylinderabschaltung bei Ottomotoren mit großem Hubraum beschränkt, hat sich der Einsatzbereich in letzter Zeit erheblich erweitert [1]. Einerseits steht die Entdrosselung der Ansaugwege durch Systeme zur Hubumschaltung, etwa für Strategien mit frühem (Early Intake Valve Closing, EIVC) oder spätem Einlassschließen (Late Intake Valve Closing, LIVC), stärker im Blickpunkt, andererseits wird die Zylinderabschaltung auch auf hubraumkleinere Motoren übertragen, Bild 1. Anfang 2018 ging der erste Dreizylindermotor mit Zylinderabschaltung in Serie [2], weitere Anwendungen sind in der Entwicklung. Schaltbare Rollenschlepphebel (Switchable Roller Finger Follower, SRFF) ermöglichen das Umschalten zwischen zwei Ventilhüben (Ventilhubumschaltung) oder – für eine Zylinderabschaltung – vom Voll- auf den Nullhub. Damit sind sie aus funktionaler Sicht für die oben skizzierten Aufgaben prädestiniert. Zudem verursachen sie gegenüber anderen Systemen wie schaltbaren Tassenstößeln erheblich weniger Reibungsverluste.
Variable Ventiltriebsysteme haben bei Dieselmotoren erst viel später Einzug gehalten als bei Ottomotoren, wo sie heute quasi Stand der Technik sind. Da Dieselmotoren konzeptbedingt mit Luftüberschuss arbeiten, ist bei ihnen das Potenzial zur CO₂- beziehungsweise Verbrauchsreduzierung durch die Entdrosselung des Ladungswechsels nicht in gleicher Höhe gegeben wie beim Ottomotor. Eine der ersten Anwendung in Dieselmotoren erfolgte bei Mitsubishi [3] über ein schaltbares Kipphebelsystem, gefolgt vom ersten schaltbaren Rollenschlepphebel für Dieselmotoren in der Großserie beim Mazda Skyactive-D-Motor [4]. Bei diesem Konzept wird eine interne Abgasrückführung über einen zusätzlichen Hub des Auslassventils (Secondary Exhaust Valve Lift, SEVL) realisiert. Da der Motor ein sehr geringes Kompressionsverhältnis von 14:1 hat, ist dieses System wesentlich, um die Brennraumtemperatur bei kalten Betriebsbedingungen für eine stabile Verbrennung zu erhöhen.
Einen zusätzlichen Impuls hat die Entwicklung variabler Ventiltriebkonzepte bei Dieselmotoren durch die Einführung neuer Emissionstests erhalten. Einerseits werden mit RDE (Real Driving Emissions) nun auch die Emissionen im alltäglichen Straßenverkehr abgeprüft, andererseits hat der zulassungsrelevante Messbereich mit dem neuen Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Cycle (WLTC) eine signifikante Spreizung erfahren. Mit RDE und WLTC sind zudem die Anforderungen gestiegen, die Emissionen bei transientem Motorbetrieb schnell an die veränderten Bedingungen anzupassen. Neue Möglichkeiten der Verbrennungsoptimierung bieten dabei variable Ventiltriebsysteme. Es ist jedoch zu beachten, dass sie keine singuläre Optimierung am Motor darstellen, sondern immer im Gesamtsystem funktionieren und oftmals Wegbereiter anderer Maßnahmen sind, beispielsweise über die Erweiterung des Betriebsbereichs, in dem bei niedrigen Betriebstemperaturen eine Nacheinspritzung appliziert werden kann. Bild 7 zeigt den Einsatzbereich und mögliche Schaltstrategien des variablen Ventiltriebs beim Dieselmotor mittels schaltbarer Rollenschlepphebel im Kennfeldschnitt.
Trotzdem kann die Auslegung mit nur einer Nachhubkurve einen deutlichen Kompromiss zwischen einer hohen AGR-Rate bei niedrigen Lasten (zur Erzielung eines hohen Temperaturhubs) sowie einer Begrenzung der Rate im höheren Lastbereich, wenn mehr Frischluft erforderlich ist, darstellen. In der Kompromissauslegung muss deshalb das Nachhubsystem vergleichsweise früh wieder durch die konventionellen externen AGR-Systeme ersetzt werden. Dieser Kompromiss kann entweder durch eine vollvariable oder eine mehrstufige Nachhubschaltung beseitigt werden [5].
Eine ähnliche Funktion wurde von Schaeffler auch für eine hydraulische Betätigung vorgeschlagen [6], hier ist allerdings der Implementationsaufwand in den Zylinderkopf vergleichsweise hoch und auch in der Anwendbarkeit auf spezielle Zylinderkopfarchitekturen beschränkt.
[1] Ihlemann, A.; Nitz, N.: Cylinder Deactivation – A technology with a future or a niche application? 10. Schaeffler Kolloquium, 2014
[2] Pressemeldung Ford Werke AG: Weltpremiere: Ford stattet EcoBoost-Dreizylinder mit kraftstoffsparender Zylinder-Abschaltung aus. http://www.presseportal.de/pm/6955/3497442
[3] Mitsubishi press release: The 4N13 1.8 liter / 4N14 2.2-liter diesel engines realize low fuel consumption, low emissions, and low combustion noise to European market. www.mitsubishi-motors.com
[4] Terazawa, Y.; Nakai, E.; Kataoka, M.; Sakono, T.: The new Mazda four-cylinder diesel engine. In: MTZ 72 (2011), Nr. 9
[5] Brauer, M.; Pohlke, R.; Berndt, R.; Manns, J.; Elicker, M.; Brands, C.; Scheidt, M.: Variable valve train in Diesel engines as key technology for compliance with future emission limits and further downsizing, SIA Magazine Ingénieurs de l’automobile No. 884 (11 / 2016) and SIA Powertrain Conference 2016, Rouen, France, 07 / 2016
[6] Himsel, F.; Christgen, W.; Schmidt, V.: Trends im Ventiltrieb - Variabilitäten für zukünftige Otto- und Dieselanwendungen. VDI-Tagung Ventiltrieb und Zylinderkopf, Würzburg, 2017
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