Getriebeelemente
Innovatives CAE
Dr. Daniel Heinrich
Johannes Kerstiens
Michael Schneider
II. Simulation von Antriebsstrangschwingungen für moderne Hybrid-Topologien
III. Optimierung von Wälzlagern mit OptiKit
In den vergangenen 25 Jahren haben Software-Werkzeuge zur computergestützten Berechnung und Simulation maßgeblich dazu beigetragen, Effizienz und Leistungsfähigkeit des Antriebsstrangs zu verbessern. Schaeffler hat diese Entwicklung intensiv genutzt und vorangetrieben mit dem Ziel, seinen Kunden optimal abgestimmte Produkte bei gleichzeitig beschleunigten Entwicklungsabläufen anzubieten. Entscheidend war dabei die Entwicklung eigener Simulationswerkzeuge, die sich von den am Markt verfügbaren Optionen durch eine hohe Vorhersagegüte bei gleichzeitiger Schnelligkeit der Berechnung abheben.
Diese eigenen CAE-Werkzeuge entwickelt Schaeffler kontinuierlich weiter, um den steigenden Anforderungen moderner Fahrzeuge und Entwicklungsprozesse gerecht zu werden. Dieser Beitrag stellt exemplarisch vier Neuerungen vor:
• die Optimierung von Torsionsschwingungsdämpfern für hybride Antriebsstränge über vielfältige Betriebspunkte und Systemtopologien
• die automatisierte Optimierung von Wälzlagern in Bearinx
• ein neues Verfahren zur Auslegung von Kupplungen unter Berücksichtigung mechanischer und thermischer Wechselwirkungen
• die Nutzung von virtueller Erprobung zur schnelleren Produktentwicklung bei gleichzeitig verbesserter statistischer Aussagegüte.
Schaeffler entwickelt das Mehrkörpersimulationsprogramm Dyfasim zur Berechnung von Schwingungen im Antriebsstrang. Die leistungsfähige Software umfasst etwa Bibliotheken zur hochdynamischen Abbildung von Verbrennungsmotoren, Elektroantrieben, Motorsteuerungen, Getrieben, Kupplungen, Torsionsschwingungsdämpfern, Wandlern sowie weiteren Getriebekomponenten und ist mit dem Ziel entwickelt, Schaeffler-Produkte optimal auf die Kundenanforderungen maßzuschneidern und so die notwendige Entwicklungszeit zu reduzieren, Bild 1.
Bild 1 Umfang von Dyfasim mit unterschiedlichen Anwendungsbereichen
Bild 2 Optimierungsablauf für die Auslegung moderner Torsionsschwingungsdämpfer
Bei der Entwicklung von Torsionsschwingungsdämpfern für neue hybride Antriebsstränge muss der Umfang der Variantenoptimierung noch einmal erweitert werden. Beispielsweise sind die sehr hohen Beanspruchungen der Dämpfer und der Getriebekomponenten durch die hochdynamischen, wechselnden Radmomente zu bewerten, Bild 3.
Bild 3 Manöver, die in der Dämpferauslegung berücksichtigt werden müssen
Ein Beispiel hierfür ist die Fahrt bei Straßenunebenheiten. Diese können bei Hybrid-Antriebssträngen ohne Trennkupplung im Antriebsstrang durch die Anregung an den Rädern zu Resonanzen führen, die starke Getriebeschäden verursachen. Zur frühzeitigen Bewertung dient die in Bild 4 gezeigte Variationsrechnung, die den Effekt unterschiedlicher Fahrsituationen und Dämpferauslegungen berücksichtigt. Hier zeigt beispielsweise ein Linearfederdämpfer bei hohen Anregungen durch die Straße ein homogenes Belastungsbild. Dennoch zeigt im Vergleich ein Bogenfederdämpfer über weite Bereiche günstigere Spitzenmomente und ein robusteres Verhalten. In beiden Dämpfertypen entschärft eine zusätzliche Rutschkupplung die Belastung durchgängig.
Bild 4 Simulationsergebnisse für Buckelpisten mit Variation des Fahrbereichs für vier verschiedene Dämpfersysteme
Da die Simulationen bei Änderungen des Antriebsstrangs oft wiederholt werden müssen, ist dieser Ablauf weitgehend automatisiert. Anpassungen am Dämpfer können so frühzeitig vorgenommen werden. Der spätere Aufwand bei der Produktanpassung reduziert sich dadurch deutlich, da das Risiko unerwünschter Nebeneffekte einer Abstimmung deutlich sinkt. Gleichzeitig kann mit der frühzeitigen Optimierung von Dämpfer und Gesamtsystem eine insgesamt höhere Leistungsdichte und damit auch eine bessere Funktion erreicht werden.
Seit 1995 setzt Schaeffler die selbst entwickelte Berechnungssoftware Bearinx zur Gestaltung, Auslegung und Analyse von Lagerungen in komplexen Getriebeanwendungen ein. Das leistungsstarke Werkzeug wird auf Basis der neuesten Forschungsergebnisse kontinuierlich erweitert und verbessert und steht auch als Kundenversion zur Verfügung. Bearinx betrachtet das Lager nicht nur isoliert, sondern kann alle Lasten, Verlagerungen, elastische Strukturen und Zahnkontakte berücksichtigen, die innerhalb des Gesamtsystems mit den Lagern in Wechselwirkung stehen.
Bild 5 Modellierungstiefe von Bearinx von der Systemebene des gesamten Getriebes bis in den Einzelkontakt
Die hohe Modellierungstiefe und -qualität ermöglicht immer bessere Systemanalysen und damit kürzere Entwicklungszeiten. Die Steigerung von Leistungsdichte und Grenzbelastungen sowie die Minimierung von Bauraum und Verlustleistung erfordern dabei eine perfekte Optimierung jeder einzelnen Lagerstelle bis ins Detail. Bild 6 zeigt die große Vielfalt potenzieller Stellgrößen beispielhaft an einem Kegelrollenlager. Eine Optimierung dieser Größen, deren Wirkung wiederum in enger Wechselbeziehung zu anderen Getriebekomponenten und -parametern steht, ist mittels intuitiver Vorgehensweise oder manueller Variantenrechnungen nicht mehr machbar.
Bild 6 Vielfalt von Parametern und Einflussfaktoren bei der Auslegung und Optimierung von Getriebelagern am Beispiel eines Kegelrollenlagers
Schaeffler hat deshalb automatisch arbeitende Optimierungsalgorithmen entwickelt, die schnell und systematisch eine Vielzahl verschiedener Parameter auf Lager- und Systemebene auf eine Zielgröße hin optimieren. Solche Ansätze sind zwar grundsätzlich bekannt, haben in der Vergangenheit für das hier beschriebene Ziel aber keine befriedigenden Ergebnisse geliefert. Denn tatsächlich besteht in der Praxis ein Zielkonflikt aus diversen funktionalen und technologischen Anforderungen. Einen intelligenten Optimierungsalgorithmus zeichnet folglich aus, dass er sowohl sämtliche Kundenanforderungen wie beispielsweise Bauraum und Leistungsfähigkeit abbilden als auch alle konstruktiven und herstelltechnischen Restriktionen berücksichtigen kann, Bild 7.
Bild 7 Vergleich zwischen der Funktion eines klassischen Optimierungsalgorithmus (links) und einer realen Optimierung unter in der Entwicklung vorliegenden Anforderungen (rechts)
Zu diesem Zweck hat Schaeffler das Optimierungstool OptiKit entwickelt und in Bearinx integriert. Der Anwender kann mit OptiKit beliebige Entwicklungsziele und Restriktionen in die Optimierung einbringen und so schnell eine Systemabstimmung finden, die unter den Design- und Kollektiv-spezifischen Anforderungen dem Optimum entspricht.
Die Anwendung von OptiKit kann am Beispiel von reibungsoptimierten Kegelrollenlagern am Ritzelflansch und Ritzelkopf eines Hinterachsgetriebes gezeigt werden, Bild 8. Im Ergebnis kann die Reibung nochmals um mehr als 20 % gegenüber den bereits reibungsarmen X-Life-T29D Ausführungen gesenkt werden. Weil dabei funktionskritische Kriterien wie interne Lastverteilung und Kontaktpressungsverlauf einbezogen werden, ist die erforderliche Gebrauchsdauer sichergestellt.
Bild 8 Modell des zu optimierenden Hinterachsgetriebes in Bearinx
Im Ausgangszustand haben die beiden betrachteten Lager in einem Referenzzyklus für die Auslegung ein Reibungsverlust von fast 12 Wh. Ziel der Optimierung ist an dieser Stelle eine Reduzierung der Lagerreibung, ohne dass andere Randbedingungen wie Fertigbarkeit, Bauraum und Anforderungen an die Gebrauchsdauer berührt werden.
Der OptiKit-Algorithmus tastet sich nun schrittweise an andere Parameterkombinationen heran, die eine Reduzierung der Reibungsverluste ermöglichen, was gleichzeitig auch zu einem Abfall der Lagerlebensdauer führt. Erst durch eine zusätzliche Randbedingung kann erreicht werden, dass die Lebensdaueranforderung bei der Optimierung gewahrt bleibt. Bild 9 zeigt den Verlauf der Optimierung und stellt sowohl die Entwicklung der Systemreibung als auch der Lebensdauerbewertung dar.
Bild 9 Verlauf der ermittelten Reibungsenergie und Lebensdauerbewertung über der Optimierung. Dabei werden beide Werte über unterschiedliche Auslegungszyklen berechnet, die die jeweiligen Zielanforderungen abbilden
Der Optimierungsverlauf zeigt zwei Bereiche, die den Vorteil des neuen Ansatzes eindrucksvoll vor Augen führen. So wird das System konsequent an zulässige Auslegungsgrenzen herangeführt, was 15 % Reibungsreduzierung gegenüber der von Hand durchgeführten Lagerauslegung ergibt. Anschließend wird eine weitere Optimierung des Systems vorgenommen, die eine gezielte Feinabstimmung des Lagers auf die jeweilige Anwendung durchführt. Am Ende der Optimierung steht ein Lager, das gezielt auf die Eigenschaften des umgebenden Systems und die Entwicklungsziele des Kunden hin optimiert wurde. Welche Parameter dabei eine Rolle spielen, zeigt Bild 10 jeweils für das Ritzelkopflager und das Ritzelflanschlager.
Bild 10 CAE-gestützte Optimierung von Parametern der Kegelrollenlager im betrachteten Hinterachsgetriebe
In Summe weisen die optimierten Lager am Hinterachsgetriebe eine Reduzierung der Reibenergie um 21 % aus, die ohne eine Anpassung des Bauraums oder der Verwendung von Spezialwerkstoffen erreicht werden konnte. Um diesen zunächst rein rechnerischen Wert zu validieren, wurden die optimierten Lager anschließend im Prüfstand gemessen, Bild 11. Für jede Drehzahl wurden dabei unterschiedliche Lastpunkte angefahren. Im Ergebnis zeigt sich, dass die optimierten Lager im Prüfstand das rechnerisch prognostizierte Reibungsverhalten belegen.
Bild 11 Vergleich von berechneten und gemessenen Reibmomenten für die optimierten Lager am Hinterachsgetriebe
Bild 12 Auslegung von Kupplungen anhand einfacher Berechnungswerte
Diesen Zusammenhang zeigt die Anfahrt am Berg – auf den ersten Blick ein einfaches Szenario, bei genauerem Hinschauen jedoch mit einer hohen Komplexität versehen. Die in der Synchronisationsphase eingebrachte Reibleistung führt an den Reiboberflächen zunächst zu einem starken Temperaturanstieg. Resultierend aus der lokalen, mikroskopischen Pressungsverteilung, der über den Radius unterschiedlichen Gleitgeschwindigkeit und der vorherrschenden Oberflächentemperatur ergibt sich aus der Summe aller Reibelemente das übertragbare Moment auf makroskopischer Ebene. Das zu keinen Zeitpunkt stationäre System wird vom Wärmefluss in den Bauteilen, der durch den Leistungseintrag erzeugt wird, und
den daraus resultierenden, mechanischen Verformungen der Reibflächen beeinflusst, Bild 13.
Bild 13 Wechselwirkung der Pressungsverteilung auf thermische und mechanische Effekte in der Kupplung
Um diese Effekte zu simulieren, ist ein enormer Rechenaufwand notwendig, da neben den radial ausgeprägten Topfungen der Reibfläche auch die in Umfangsrichtung wirkenden Welligkeiten berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommen die Wechselwirkungen der einzelnen Bauteile untereinander – wie etwa die segmentierte Ausführung der Belagfederung, die in Umfangsrichtung während der Rotation eine wandernde Abstützung bereitstellt und aufgrund ihrer axialen Nachgiebigkeit ein gewisses Maß an radialen Topfungen und tangentialen Welligkeiten ausgleichen kann.
Selbst durch intelligente Vernetzung, Aufteilungen des Rechenmodells und sequenzielle Aufteilung von Rechenabläufen konnte die benötigte Rechenzeit für die Berechnung von fünf aufeinanderfolgenden Anfahrten nur auf fünf Wochen reduziert werden. An eine Variantenrechnung ist damit nicht wirklich zu denken. Dadurch eignet sich diese Methodik hauptsächlich als Analysetool und nicht für den normalen Auslegungsprozess, für den eine Reduktion der Rechenzeiten um etwa den Faktor 1.000 notwendig ist. Zugleich bedarf es eines flexiblen Aufbaus, so dass diese Methodik sowohl für Einfachkupplungen als auch für komplexere Systeme wie Doppelkupplungen und Dreifachkupplungen einsetzbar ist.
Mit dem Wissen um das versteckte Potenzial wurden in einem interdisziplinären Team systematisch die notwendigen Parametereinflüsse und ihre Wechselwirkungen analysiert und die Rechenmodelle so überarbeitet, dass ohne wesentliche Verfälschung der Ergebnisse die geforderte Rechenzeitverkürzung erreicht wurde. Das neue thermomechanische Simulationstool ATM basiert auf einem optimierten Finite-Elemente-Modell und berücksichtigt:
• für Berganfahrten reale Bedingungen, basierend auf typischen Anfahrbeschleunigungen
• Geometrien und Steifigkeiten der einzelnen Bauteile, insbesondere die Kippsteifigkeiten der Anpressplatte und des Schwungrads mit ihren radialen Topfungen und tangentialen Welligkeiten sowie die Pressungsverteilung der Belagfederung
• thermische und elastische Materialeigenschaften der metallischen und der nichtmetallischen Werkstoffe wie etwa des Belags
• Wärmeübergänge innerhalb der Kupplung, innerhalb der Kupplungsglocke und nach außen an die Umgebung
• ein komplexes Reibwertmodell, das zusätzlich zur Abbildung der Wechselwirkung von Temperatur, Druck und Gleitgeschwindigkeit nun erstmals auch die Historie der thermischen Beanspruchung berücksichtigt
• die impliziten zeitlichen Änderungen der thermisch-mechanischen Belastungsbedingungen.
Für Berganfahrten wird ein thermisch-mechanisches Modell verwendet, für quasistationäre Anfahrten in der Ebene zur Berechnung von Lebensdauerprofilen ein rein thermisches Modell, Bild 14. Die Implementierung freigaberelevanter Kundenprofile ist in Kooperation mit dem Kunden möglich, was die direkte Berücksichtigung von Erprobungszyklen und den Vergleich von errechneten mit gemessenen Werten ermöglicht.
Bild 14 Schematischer Aufbau der optimierten thermischen Auslegung von Kupplungen
Bereits in der Auslegungsphase können so die Ergebnisse mit dem Kunden diskutiert werden und die Optimierungsrichtung wie Kostenreduktion, niedriger Belagverschleiß oder höheres übertragbares Motormoment festgelegt werden. Auch der Einfluss unterschiedlicher Belagmaterialien für verschiedene Belastungsszenarien lässt sich vorhersagen.
Gerade über die thermisch-mechanische Kopplung erschließt das neue Auslegungsverfahren bisher ungenutztes Potenzial. Kupplungen können auf den Zielparameter einer möglich homogenen Pressungsverteilung der Reibflächen hin optimiert werden und zeigen im Anschluss nicht nur ein verbessertes dynamisches Topfungsverhalten, sondern durch die dadurch resultierende Homogenisierung der Flächenpressung auch eine um 40 °C geringere maximale Temperatur, Bild 15.
Bild 15 Auszug aus der Berganfahrsimulation mit dem thermisch-mechanischen Modell
Durch die reduzierten Spitzentemperaturen steigt die Momentenkapazität, was dazu genutzt werden kann, die Betätigungskräfte zu reduzieren und die Effizienz des Systems zu steigern. Gleichzeitig ergibt sich durch das verbesserte Topfungsverhalten und die niedrigeren Temperaturen in Hochlastbereichen ein niedrigerer Kupplungsverschleiß. Das gewonnene Potenzial kann nun zum Beispiel genutzt werden, um
• durch Bereitstellung des notwendigen Bauraums auf der Kupplungsscheibe ein Fliehkraftpendel zu integrieren und damit die Isolationswirkung im Antriebsstrang stark zu verbessern
• die Kupplungsgröße insgesamt zu reduzieren und so Gewicht und Bauraum einzusparen.
Bild 16 Entwicklung und Absicherung komplexer Kupplungssysteme über die Berücksichtigung thermisch-mechanischer Effekte
Mit der erfolgreichen Einführung des thermisch-mechanischen Simulationstools ATM und dessen Integration in das bestehende Auslegungsprogramm Clusys ist nun die thermische Optimierung des Gesamtsystems zum neuen Standard geworden. Die Optimierungen der mechanischen Kraft-Weg-Auslegung und der thermisch-mechanischen Auslegung werden damit systematisch bereits in der frühen Auslegungsphase verschmolzen.
Die Erprobung von Fahrzeugkomponenten beim Dauerlauf ist für den Kunden mühsam, zeit- und kostenintensiv. Aus diesen Gründen lassen sich Dauerläufe häufig nicht statistisch absichern. Da oft wesentliche Fahrzeugelemente zum Zeitpunkt des Dauerlaufs noch nicht endgültig fertiggestellt sind oder bei Ausfall kurzfristig nachentwickelt werden müssen, bleibt das Restrisiko, dass unliebsame Beanstandungen im Feld auch bei erfolgreichem Dauerlauf auftreten. Wünschenswert wäre es, Dauerläufe weitgehend durch Komponententests und CAE-Berechnungen zu ersetzen. Dazu muss die Beanspruchung beim realen Fahren und ihre statistische Streuung bereits bei der Komponentenauslegung wie etwa des Kupplungssystems bekannt sein. Insbesondere die Fahrerstreuung und der damit einhergehende Einfluss unterschiedlicher Fahrweisen in verschiedenen Ländern wird immer wieder diskutiert, Bild 17.
Bild 17 Verteilung von Anfahrhäufigkeiten bei der Auswertung von Realfahrtdaten aus Deutschland und China
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, muss der bisher verfolgte Ansatz weiterentwickelt und verstärkt genutzt werden. Das erfolgt über eine Verstärkung und Zusammenführung der Aktivitäten in allen betroffenen Teilbereichen: Messdaten, Simulationsmodelle, statistische Modelle und Komponententests.
Messdaten zum Realbetrieb werden mit einer neuen Datenbankstruktur gezielt zusammengeführt, um auch die spätere Auswertung von Fahrerverhalten und Lastkollektiven zu ermöglichen. Diese Datenbasis umfasst sowohl speziell durchgeführte Messungen wie etwa Schaeffler Driving Cycle und LuK-Cup wie auch umfangreiche Langzeitbeobachtungen mit Datenloggern für Normalfahrer, Taxi- und Fahrschulanwendungen.
Simulationsmodelle ermöglichen eine detaillierte Datenauswertung über die Nachsimulation von Antriebsstrangschwingungen, Reibleistungen und Temperaturen, die nicht durchgängig als Messkanäle verfügbar sind. Zusätzlich wurde die bestehende Simulationskette um weitere Werkzeuge ergänzt, die die Kopplung verschiedener Simulationsebenen bis hin zur Verkehrsflusssimulation ermöglichen.
Statistische Modelle werden systematisch verwendet, um eine Umrechnung zwischen Testzyklen, Nutzungsverteilungen im Feld und Simulations- und Prüfstandsdaten zu ermöglichen. Die aufgebaute Toolkette ermöglicht etwa die Berücksichtigung von Statistikdaten verschiedener Länder, genauso aber auch die Quantifizierung weicher Faktoren wie etwa des Fahrerverhaltens.
Komponententests im Sinne von Verschleiß- oder Festigkeitstests einzelner Bauteile werden an die vorhandene Toolkette angebunden. Diese können im Gegensatz zu Gesamtfahrzeugerprobungen deutlich schneller und bis zum Ausfall durchgeführt werden.
Die Zusammenführung von Daten und Simulationsmethoden sollen am Beispiel regionaler Effekte auf auslegungsrelevante Fahrtdaten gezeigt werden. Mit dem neuen Ansatz können große Fahrtdatenmengen systematisch auf relevante Einflussfaktoren untersucht und so die oben beschriebene regionale Abhängigkeit durch geeignete Kompensationsfaktoren berücksichtigt werden. Das wurde in diesem Beispiel durch eine Unterteilung der Fahrtdaten erreicht, bei der für jedes Fahrtsegment die Anfahrhäufigkeit der durchschnittlichen Geschwindigkeit im Segment gegenübergestellt wird. So ergeben sich für beide gezeigten Regionen vergleichbare Kenngrößen und der bisher beobachtete Unterschied entfällt, Bild 18.
Bild 18 Auswertung realer Fahrtdaten zur Verteilung der Anfahrhäufigkeit einzelner Fahrtbereiche über die mittlere Geschwindigkeit
Für die Bewertung über die durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit spielt die Verkehrsdichte eine dominierende Rolle, die in den vorliegenden Messdaten nicht als Messgröße enthalten ist. Deswegen wird eine ergänzende Analyse über Verkehrsflusssimulationen benötigt. Hierzu wurde ein Verkehrsflussmodell aufgebaut, das die gleichzeitige Simulation von tausenden Fahrzeugen auf einem komplexen Streckennetz und damit auch eine Nachstellung realer Fahrsituationen mit ihren Wechselwirkungen ermöglicht, Bild 19.
Bild 19 Aufgebautes Verkehrsflusssimulationsmodell für den Stadtverkehr
Das Verkehrsflussmodell bildet das in den Messdaten beobachtete Verhalten ausreichend genau ab. Damit ermöglicht es auch, Streuungen systematisch Parametern von Verkehrsdichte, Streckentyp und Fahrstil zuzuordnen, Bild 20. Gerade für eine hohe Verkehrsdichte ergibt sich nur noch ein geringer Einfluss des Fahrers, aber eine hohe Streubreite der Fahrtdaten aufgrund externer Einflüsse.
Bild 20 Ergebnisse der Verkehrsflusssimulation mit Streuung nach verschiedenen Abhängigkeiten
Mit der Zusammenführung von Mess- und Simulationsdaten kann eine Ankopplung an Verkehrsstatistiken verschiedener Länder durchgeführt werden. Dazu werden vorhandene Basisdaten systematisch mit von Schaeffler erhobenen Daten verknüpft und erweitert, so dass eine Umrechnung auf die jeweiligen Nutzungsbereiche ermöglicht wird, Bild 21. Die Umrechnung auf einzelne Fahrzeuge erfolgt dabei über Monte-Carlo-Simulationen.
Bild 21 Umgewichtung von Messdaten auf Feldnutzungsstatistiken
Ein Beispiel hierfür ist die Erprobung der Kupplungsbetätigungsaktorik (Clutch Actuation Sub System, CASS), bei der über die Synthese eines anwendungsspezifischen Zyklus die Abprüfung von Lebensdaueranforderungen gegenüber dem bisherigen allgemeinen Prüfzyklus stark verbessert werden konnte, Bild 22.
Bild 22 Optimierter synthetischer Prüfzyklus für die Erprobung der Kupplungsbetätigungsaktorik
Der Erprobungsaufwand im Gesamtfahrzeug kann damit reduziert werden. Der hier vorgestellte Ansatz wird bei Schaeffler anwendungsübergreifend umgesetzt, so dass die neuen Methoden schrittweise sowohl für die Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte als auch die Weiterentwicklung und Auslegung vorhandener Technologien genutzt werden können.
In dem vorliegenden Beitrag wurden Weiterentwicklungen der Schaeffler CAE-Werkzeuge vorgestellt, die beschleunigte Auslegungs- und Entwicklungsprozesse, bessere Vorhersagegüte und höhere Funktions- und Leistungsdichte ermöglichen:
• Die um umfangreiche und hoch automatisierte Variationsrechnungen erweiterte Berechnung von Torsionsschwingungsdämpfern in Dyfasim zur optimalen Auslegung von Hybridtopologien mit dem Ziel, frühzeitig Entwicklungsrisiken zu reduzieren.
• Das in Bearinx integrierte Werkzeug OptiKit, das eine automatisierte Optimierung von Wälzlagern auf das jeweilige Getriebe und die Randbedingungen hin ermöglicht und so etwa eine Reibungsreduzierung um mehr als 20 % erreichen kann.
• Das in der Kupplungsauslegung Clusys integrierte ATM-Modell, das komplexe thermische und mechanische Wechselwirkungen in der Kupplungsauslegung nutzbar macht, indem die Rechenzeit um einen Faktor 1.000 gegenüber bisherigen Modellen verkürzt wird.
• Die Methodik der virtuellen Erprobung, die über die Kopplung von Fahrtdaten, CAE-Methoden und Komponententests beschleunigte Freigabetests und gleichzeitig eine bessere statistische Absicherung ermöglicht.
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Ein Beispiel für die hohe Integration in den Entwicklungsprozess ist die Optimierung moderner Torsionsschwingungsdämpfer, für die einerseits die Umgebung mit Motor samt Lager, Anlasser, Batterie und Anschlusskabel, Getriebe, Antriebswellen sowie Reifen und weiteren Komponenten abgebildet und andererseits eine hohe Bandbreite unterschiedlicher Gestaltungsoptionen berücksichtigt wird [1]. So werden für die Auslegung eines ZMS standardmäßig etwa 2.000 mögliche Kennlinienvarianten erzeugt, aus denen in einem mehrstufigen Optimierungsverfahren die beste Auslegung für die jeweilige Kundenanwendung gewählt wird, Bild 2. Um diesen Aufwand für jede einzelne Kundenanfrage zu ermöglichen und die beschriebene Variantenoptimierung über Nacht bereit zu stellen, nutzt Schaeffler eine eigene Serverarchitektur, die 4,4 Mio. einzelne Simulationsaufträge pro Jahr berechnet. Erst dieses Vorgehen ermöglicht etwa die zielgerichtete Auslegung von Fliehkraftpendeln im Torsionsschwingungsdämpfer in der heute möglichen Optimierungsgüte [2].
Seit 1995 setzt Schaeffler die selbst entwickelte Berechnungssoftware Bearinx zur Gestaltung, Auslegung und Analyse von Lagerungen in komplexen Getriebeanwendungen ein. Das leistungsstarke Werkzeug wird auf Basis der neuesten Forschungsergebnisse kontinuierlich erweitert und verbessert und steht auch als Kundenversion zur Verfügung. Bearinx betrachtet das Lager nicht nur isoliert, sondern kann alle Lasten, Verlagerungen, elastische Strukturen und Zahnkontakte berücksichtigen, die innerhalb des Gesamtsystems mit den Lagern in Wechselwirkung stehen.
Diese Modellierungstiefe ermöglicht Bearinx, das Verhalten von Getriebe und Wälzlagern detailliert vorherzusagen, Bild 5. Das umfasst sowohl die Gesamtsystemebene, etwa bei der Prognose von Verlustleistungen, als auch die Ebene einzelner Lagerkontakte, etwa bei der Bewertung des Risikos für oberflächeninduzierte Schäden am einzelnen Wälzkörper [3]. So können Kunden bereits in einem frühen Entwicklungsstadium qualifiziert beraten werden.
Damit ergibt sich eine bessere und schnellere Auslegung, die erst durch die Kopplung der hohen Modellierungstiefe und Vorhersagegüte von Bearinx mit der gezielten Parameteroptimierung durch OptiKit möglich wird. Dieses Potenzial kann für alle Anwendungsbereiche von Bearinx gehoben werden [4].
Die Auslegung von Kupplungen erfolgte bisher über den anerkannten Stand der Technik, Bild 12. Hinsichtlich der thermischen Dimensionierung wurde die Auslegung auf Werte für eine spezifische Arbeitsbelastung heruntergebrochen. Diese Werte liefern die Mindestanforderungen bezüglich der thermischen Masse, des Belagvolumens und der Reibfläche und haben in der Vergangenheit sehr gute Dienste geleistet [5]. FE-Berechnungen und Lebensdauerprofile spielten erst in der späteren Optimierung eine Rolle.
Bei der Entwicklung moderner Kupplungssysteme wie etwa bei Dreifachkupplungen [6] ist diese klassische Herangehensweise allerdings nicht mehr ausreichend, da eine enorme Leistungsdichte auf engem Bauraum realisiert werden muss. Auch bei einfachen Kupplungen ist das Optimierungspotenzial hinsichtlich Funktion und Kosten zu betrachten.
Insgesamt kann so eine höhere Leistungsdichte bei gleichzeitig höherer Auslegungssicherheit erreicht werden. Es empfiehlt sich zusätzlich, Schutzmechanismen für Missbrauchsbetrieb einzuführen. Hierzu wird die momentane Oberflächentemperatur der Reibflächen mit einem kleinen Rechenprogramm im laufenden Betrieb überwacht und dem Fahrer Feedback gegeben, wenn kritische Wertebereiche erreicht werden. Ein Beispiel hierfür ist ein bereits in der Motorsteuerung laufendes Thermomodell, das mit aktuellen Entwicklungen auch für konventionelle Handschalteranwendungen verfügbar wird. Die hier geschilderte Vorgehensweise bei der Auslegung und dem Softwareschutz lässt sich besonders gut auf die Entwicklung von Dreifachkupplungssystemen, Bild 16, übertragen [7], da hier während der Fahrt aktiv in das Kupplungssystem eingegriffen werden kann. Dadurch erreicht man für solche Systeme im Vergleich zum Handschalter eine noch höhere Funktionssicherheit.
Um eine gezielte Auslegung und Erprobung von Komponenten unter realistischen Betriebsbedingungen zu gewährleisten, führt Schaeffler schon seit langem eigene Messprogramme im Realbetrieb durch. Diese Fahrprofile wie etwa Schaeffler Driving Cycle und LuK-CUP (Customer Usage Profile) lieferten einen entscheidenden Beitrag zur Erprobung von Produktinnovationen wie etwa neuen Doppelkupplungssystemen [8].
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, muss der bisher verfolgte Ansatz weiterentwickelt und verstärkt genutzt werden. Das erfolgt über eine Verstärkung und Zusammenführung der Aktivitäten in allen betroffenen Teilbereichen: Messdaten, Simulationsmodelle, statistische Modelle und Komponententests.
Messdaten zum Realbetrieb werden mit einer neuen Datenbankstruktur gezielt zusammengeführt, um auch die spätere Auswertung von Fahrerverhalten und Lastkollektiven zu ermöglichen. Diese Datenbasis umfasst sowohl speziell durchgeführte Messungen wie etwa Schaeffler Driving Cycle und LuK-Cup wie auch umfangreiche Langzeitbeobachtungen mit Datenloggern für Normalfahrer, Taxi- und Fahrschulanwendungen.
Simulationsmodelle ermöglichen eine detaillierte Datenauswertung über die Nachsimulation von Antriebsstrangschwingungen, Reibleistungen und Temperaturen, die nicht durchgängig als Messkanäle verfügbar sind. Zusätzlich wurde die bestehende Simulationskette um weitere Werkzeuge ergänzt, die die Kopplung verschiedener Simulationsebenen bis hin zur Verkehrsflusssimulation ermöglichen.
Statistische Modelle werden systematisch verwendet, um eine Umrechnung zwischen Testzyklen, Nutzungsverteilungen im Feld und Simulations- und Prüfstandsdaten zu ermöglichen. Die aufgebaute Toolkette ermöglicht etwa die Berücksichtigung von Statistikdaten verschiedener Länder, genauso aber auch die Quantifizierung weicher Faktoren wie etwa des Fahrerverhaltens.
Komponententests im Sinne von Verschleiß- oder Festigkeitstests einzelner Bauteile werden an die vorhandene Toolkette angebunden. Diese können im Gegensatz zu Gesamtfahrzeugerprobungen deutlich schneller und bis zum Ausfall durchgeführt werden.
Die Zusammenführung von Daten und Simulationsmethoden sollen am Beispiel regionaler Effekte auf auslegungsrelevante Fahrtdaten gezeigt werden. Mit dem neuen Ansatz können große Fahrtdatenmengen systematisch auf relevante Einflussfaktoren untersucht und so die oben beschriebene regionale Abhängigkeit durch geeignete Kompensationsfaktoren berücksichtigt werden. Das wurde in diesem Beispiel durch eine Unterteilung der Fahrtdaten erreicht, bei der für jedes Fahrtsegment die Anfahrhäufigkeit der durchschnittlichen Geschwindigkeit im Segment gegenübergestellt wird. So ergeben sich für beide gezeigten Regionen vergleichbare Kenngrößen und der bisher beobachtete Unterschied entfällt, Bild 18.
Hieraus ergibt sich eine Umrechnung der Datenbasis auf Streuungen und Häufigkeitsverteilungen in verschiedenen Regionen. Diese Methode wird nun um Fahrzeug- und Komponentenkennwerte ergänzt, so dass etwa auch die in der Datenbasis vorhandenen Werte zu Rekuperationspotenzial bei manuellem Schaltgetriebe mit P0-Hybriden [9] oder die sich hieraus ergebenden Lastkollektive für Riementriebkomponenten [10] abgeleitet werden können. Im nächsten Schritt werden die berechneten Feldverteilungen abhängig von den relevanten Schädigungsmechanismen auf die System- und Komponentenebene überführt, wo sie zur Lebensdauerauslegung und -verifikation dienen.
[1] Kooy, A.; Eireiner, D.; Krause, T.; Herbers, C.; Vögtle, B.: Torsional damping systems for all relevant powertrains – Extending current damping technologies. 16th International VDI Congress Drivetrain for Vehicles, Friedrichshafen, 2016
[2] Kooy, A.; Seebacher, R.: Maßgeschneiderte Dämpfer für jedes Antriebskonzept. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[3] Vierneusel, B.: Schnelles Berechnungsverfahren zur Vermeidung oberflächeninduzierter Schäden in Wälzlagern. 12. VDI-Fachtagung Gleit- und Wälzlagerungen, Schweinfurt, 2017
[4] von Petery, G.; Rumpel, R.: Innovative Lagerkonzepte für die Antriebe der Zukunft. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[5] Wittmann, C.; Bergl, T.: Kupplungskonzepte für steigende Motormomente, VDI-Fachtagung Kupplungen und Kupplungssysteme in Antrieben, 2007
[6] Eckenfels, T.: 48-V-Hybridisierung – Eine intelligente Aufwertung des Antriebsstrangs. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[7] Eckenfels, T.: 48-V-Hybridisierung – Eine intelligente Aufwertung des Antriebsstrangs. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[8] Rathke, G.; Kimmig, K.-L.; Baumgartner, A.: Doppelkupplungssysteme nach Maß. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[9] Welter, R.; Kneißler, M.; Baumann, M.: Das Handschaltgetriebe hat Zukunft. E-Clutch und Hybridisierung. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
[10] Schroeder, C.; Stuffer, A.: P0-Mild Hybrid – Mit Systemkompetenz zu maximaler Effizienz. 11. Schaeffler Kolloquium, Baden-Baden, 2018
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